Etwa 25.000 Schwerbehinderte haben in Thüringen einen Job oder sind in Ausbildung. Sie und ihre Arbeitgeber brauchen Unterstützung. Doch schon bald nach Jahresbeginn kritisierten Schwerbehindertenvertreter mangelnde Beratung und Hilfe. Das Land hat nun eine Hotline eingerichtet und will mehr Geld für Betreuer ausgeben.
Schwerbehinderte Berufstätige haben Anrecht auf Unterstützung. (Symbolbild) Bildrechte: dpa
Kai Michaelis hatte schon hingeworfen und den Vertrag mit dem Land gekündigt. Der Geschäftsführer der Stiftung Rehabilitation Thüringer Wald, die sich um die Integration schwerbehinderter Arbeitnehmer kümmert, hätte bis zum Jahresende Verluste von rund 70.000 Euro gemacht. Das hätte seine Stiftung nicht verkraftet. Sie ist einer von vier Fachdienstanbietern in Thüringen, die Schwerbehinderte bei der Integration am Arbeitsplatz beraten. „Für alle sind die Umstände zu hart geworden“, sagt Michaelis MDR THÜRINGEN. „Die Arbeitsbedingungen gestalten sich seit Jahresanfang mit den neuen Verträgen des Landes schwierig.“
Schwerbehinderte Berufstätige haben Anrecht auf Unterstützung
Berufstätige Schwerbehinderte haben ein Recht auf Hilfe, zum Beispiel wenn sich etwas an den Arbeitsaufgaben im Büro oder Betrieb ändert. Dann brauchen Rollstuhlfahrer, Gehörlose, Blinde oder chronische Schwerkranke beispielsweise zusätzliche Hilfsmittel, um gesundheitliche Defizite auszugleichen. Fördermittel können beantragt werden. Auch ihre Arbeitgeber finden.
Für diese Angebote ist der Integrationsfachdienst (IFD) zuständig. In Thüringen gibt es seit Jahresbeginn nur noch vier IFD für die Regionen Nord-, Südwest-, Ost- und Mittelthüringen: das Internationale Bildungs- und Sozialwerk e.V. in Leinefelde, die Stiftung Rehabilitation Thüringer Wald in Schleusingen, das Bildungszentrum Saalfeld GmbH und die Interdisziplinäre Praxis Tom Weidensee Apolda. Sie beschäftigen insgesamt neun Sozialpädagogen.
Die vertraglichen Grundlagen für die Arbeit der Integrationsfachdienste werden mit dem Landesverwaltungsamt Thüringen vereinbart. Das hatte im April 2019 die Leistungen für den Integrationsfachdienst europaweit neu ausgeschrieben. Danach sind seit Januar 2020 nur noch vier statt zuvor sieben Betreiber tätig
Was ist ein Integrationsfachdienst ? | Integrationsfachdienste (IFD) beraten und begleiten schwerbehinderte Arbeitnehmer und deren Arbeitgeber. Die IFD arbeiten im Auftrag von Integrationsämtern, Agenturen für Arbeit und anderen Rehabilitationsträgern. Sie vermitteln in Konflikten bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes und helfen bei Anträgen auf staatliche Förderung. |
Geschäftsführer: Neue Fallpauschale ist für Fachdienste nicht kostendeckend.
Auf Basis der neuen Verträge werden die Beratung und Betreuung der Schwerbehinderten seitdem mit einer monatlichen Fallpauschale von rund 200 Euro abgegolten. Vorher wurde der Fachdienst laut Sozialministerium durch das Integrationsamt zu 100 Prozent vorfinanziert. Der neue Betrag decke aber die Kosten für die beiden Mitarbeiter, Miete und Fahrkosten nicht, so Kai Michaelis, der Geschäftsführer von Rehabilitation Thüringer Wald. Verluste entstanden. Außerdem habe sich der Betreuungsschlüssel leicht verschlechtert: Vor dem thüringenweiten Umbau der IFD hätten in Südthüringen fünf Mitarbeiter etwa 70 Schwerbehinderte unterstützt – jetzt betreuten zwei Mitarbeiter etwa 30 Schwerbehinderte.
Schwerbehindertenvertreter befürchtet Leistungskürzung für Arbeitnehmer
Auch Schwerbehindertenvertreter hatten fehlende Unterstützung am Arbeitsplatz beklagt. Nach Ansicht von Udo Kremmer, Schwerbehindertenvertreter bei der Deutschen Rentenversicherung, prüft das Integrationsamt jetzt noch intensiver, ob die Betroffenen vom Integrations-Fachdienst betreut werden dürften oder Arbeitsagentur oder der Rentenversicherungsträger für die Beratung zuständig seien. Kremmer befürchtet, „dass Unterstützungsleistungen an den Arbeitgeber gekürzt oder gar nicht mehr bewilligt werden.“
Schon vor der Corona-Pandemie hätten die Mitarbeiter des IFD Schwerbehinderte kaum noch direkt betreuen können, sagt Kremmer. Der Grund: Sie hätten keinen oder erst verspätetet den Auftrag vom Integrationsamt bekommen. Schwerbehinderte würden nach dem ersten Beratungsgespräch viel zu lange auf Hilfe warten. Laut Vertrag mit dem Land müssten statt der neun eigentlich 14 Betreuer für sie da sein.
Zahl der Betreuten im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel gesunken
Von Januar bis Ende April 2020 sind so nach Angaben des Integrationsamtes 135 Menschen mit Behinderung betreut worden. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es 212. Als Gründe für die rückläufige Zahl nannte eine Sprecherin die Übergabe der bisherigen Betreuungsfälle an neue Träger, ein neues Dokumentationssystem und die strengen Kontaktbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie.
Land möchte nachbessern – Geschäftsführer hofft auf rückwirkende Hilfe
Nun aber will das Land die Verträge nachbessern. Das für die Finanzierung des IFD zuständige Integrationsamt äußert sich nicht öffentlich zu Verträgen mit Dritten. Geschäftsführer Michaelis geht aber davon aus, dass es einen Teil der Personalkosten auch rückwirkend übernehmen wird. Dann würde den Trägern kein unzumutbarer Verlust entstehen. Seine Stiftung Rehabilitation Thüringer Wald will deshalb nun doch weiter wie bisher Schwerbehinderte im Job betreuen.
Schwerbehindertenvertreter Kremmer hofft, dass mit dem zusätzlichen Geld vom Land auch das geplante Büro in Gera entsteht. Immerhin hat das Bildungszentrum Saalfeld GmbH dafür bereits eine Stelle ausgeschrieben und hofft auf geeignete Bewerber. Für eine bessere Betreuung der Schwerbehinderten hat das Integrationsamt eine Hotline eingerichtet. Dort können sich Betroffene, Vertrauensleute und Arbeitgeber über Hilfsangebote informieren.
Beratungshotline des Integrationsamtes:☎ 0361/573315331 |
Quelle: MDR THÜRINGEN